Widerruf wegen fehlerhafter Belehrung erfolgreich
BGH · Urteil vom 14. Oktober 2015 · Az. IV ZR 284/12
Entscheidung:
Eine fehlerhafte Belehrung über den Widerruf führt zu einem Fortbestand des Widerrufsrechts. Eine Frist beginnt durch eine fehlerhafte Belehrung nicht zu laufen.
Fall:
Die Klägerseite (Versicherungsnehmer) begehrt von dem beklagten Versicherer Rückzahlung geleisteter Versicherungsbeiträge einer fondsgebundenen Rentenversicherung.
Der Versicherungsnehmer erhielt mit dem Versicherungsschein die Versicherungsbedingungen und eine Verbraucherinformation nach § 10a des Versicherungsaufsichtsgesetzes (VAG), die eine Belehrung über das Widerspruchsrecht nach § 5a VVG a.F. enthielt. Der Versicherungsnehmer erklärte "den Widerspruch gemäß § 5a VVG/den Widerspruch nach § 8 VVG, vorsorglich die Anfechtung nach § 119 BGB, hilfsweise die Kündigung". Der Versicherer erkannte die Kündigung an und zahlte den Rückkaufswert aus.
Nach Auffassung des Versicherungsnehmers ist der Versicherungsvertrag nicht wirksam zustande gekommen. Auch nach Ablauf der Frist des - gegen Gemeinschaftsrecht verstoßenden - § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. habe der Widerspruch noch erklärt werden können.
Gründe:
Der Anspruch auf Prämienrückzahlung folgt dem Grunde nach aus § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB. Der zwischen den Parteien geschlossene Versicherungsvertrag schafft keinen Rechtsgrund für die Prämienzahlung. Er ist infolge des Widerspruchs des Versicherungsnehmers nicht wirksam zustande gekommen. Der Widerspruch war - ungeachtet des Ablaufs der in § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. normierten Jahresfrist - rechtzeitig.
Der Versicherer belehrte den Versicherungsnehmer nicht ordnungsgemäß i.S. von § 5a Abs. 2 Satz 1 VVG a.F. über das Widerspruchsrecht. Die Belehrung auf dem Versicherungsschein ist unvollständig, weil sie den Beginn der Widerspruchsfrist nur vom Erhalt des Versicherungsscheins abhängig macht. Sie ist zudem inhaltlich falsch, weil sie darauf abstellt, dass der Versicherungsnehmer mit den Versicherungsbedingungen und Tarifbestimmungen nicht einverstanden ist. Die Belehrung ist zudem nicht in drucktechnisch deutlicher Form gestaltet. Nur der erste Satz, der auf das Widerspruchsrecht und den Zugang der für den Beginn der Widerspruchsfrist maßgeblichen Unterlagen - des Versicherungsscheins, der Versicherungsbedingungen und der Verbraucherinformation - hinweist, ist in Fettdruck gehalten. Im Übrigen ist die Belehrung nicht durch Fettdruck oder auf sonstige Weise hervorgehoben, so dass insbesondere der Hinweis darauf, dass die rechtzeitige Absendung des Widerspruchs genügt, übersehen werden kann.
Für einen solchen Fall einer nicht ordnungsgemäßen Widerspruchsbelehrung bestimmte § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. zwar, dass das Widerspruchsrecht ein Jahr nach Zahlung der ersten Prämie erlischt. Das Widerspruchsrecht bestand hier aber nach Ablauf der Jahresfrist und noch im Zeitpunkt der Widerspruchserklärung fort.
Das ergibt die richtlinienkonforme Auslegung des § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. auf der Grundlage der Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union. Die Regelung müsse richtlinienkonform teleologisch dergestalt reduziert werden, dass sie im Anwendungsbereich der Zweiten und der Dritten Richtlinie Lebensversicherung keine Anwendung findet und für davon erfasste Lebens- und Rentenversicherungen sowie Zusatzversicherungen zur Lebensversicherung grundsätzlich ein Widerspruchsrecht fortbesteht, wenn der Versicherungsnehmer - wie hier - nicht ordnungsgemäß über das Recht zum Widerspruch belehrt worden ist und/oder die Verbraucherinformation oder die Versicherungsbedingungen nicht erhalten hat.
Die (hilfsweise) Kündigung des Versicherungsvertrages steht dem Widerspruch nicht entgegen. Ein Erlöschen des Widerspruchsrechts nach beiderseits vollständiger Leistungserbringung kommt ebenfalls nicht in Betracht.
Die bereicherungsrechtlichen Rechtsfolgen der Europarechtswidrigkeit des § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. sind nicht auf eine Wirkung ab Zugang des Widerspruchs (ex nunc) zu beschränken, sondern nur eine Rückwirkung entspricht dem Effektivitätsgebot.
Der Höhe nach umfasst der Rückgewähranspruch nach § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB nicht uneingeschränkt alle gezahlten Prämien. Vielmehr muss sich der Versicherungsnehmer bei der bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung den jedenfalls bis zur Kündigung des Vertrages genossenen Versicherungsschutz anrechnen lassen.
Im Vergleich dazu liegt, eine wirksame Belehrung nach folgenden Entscheidungen vor:
1.) BGH · Urteil vom 14. Oktober 2015 · Az. IV ZR 155/14
Dass im Versicherungsschein zusätzliche Unterlagen aufgelistet sind, die für die Ingangsetzung der Widerspruchsfrist nicht notwendig sind, ist unerheblich. § 5a Abs. 2 Satz 1 VVG a.F. macht das Anlaufen der Widerspruchsfrist allein davon abhängig, dass der Versicherungsnehmer die erforderlichen Unterlagen - Versicherungsschein, Versicherungsbedingungen und Verbraucherinformation - tatsächlich ausgehändigt wurden.
Der Einwand, der Versicherungsnehmer werde aufgrund der unrichtigen Belehrung auch überprüfen, ob er die überflüssigerweise weiter genannten Unterlagen erhalten habe, und möglicherweise einen Widerspruch hinausschieben, weil er eine für den Fristbeginn unerhebliche Unterlage nicht erhalten habe oder nicht auffinden könne, greift nicht durch. Im Übrigen ist die Abweichung vom Gesetzeswortlaut für den Versicherungsnehmer vorteilhaft, weil die Widerspruchsfrist erst beginnt, wenn er - wie hier - auch die in der Widerspruchsbelehrung genannten weiteren Unterlagen erhalten hat.
Die Widerspruchsbelehrung ist nicht deshalb unvollständig, weil sie den Adressaten des Widerspruchs nicht benennt. Abgesehen davon, dass § 5a Abs. 2 Satz 1 VVG a.F. dies nicht verlangt, ist im Versicherungsschein in unmittelbarer räumlicher Nähe zur Widerspruchsbelehrung die vollständige Anschrift des Versicherers angegeben, so dass der Versicherungsnehmer über alle für einen Widerspruch nötigen Informationen verfügt.
2.) BGH · Urteil vom 14. Oktober 2015 · Az. IV ZR 359/13
Die Widerspruchsbelehrung ist inhaltlich ordnungsgemäß; sie genügt den Anforderungen des § 5a Abs. 2 Satz 1 VVG a.F. Für einen durchschnittlichen Versicherungsnehmer ist deutlich ersichtlich, was mit den Verbraucherinformationen gemeint ist, auf die in der Widerspruchsbelehrung Bezug genommen wird. Deren Satz 1 lautet auszugsweise: "Der Vertrag gilt auf der Grundlage des Versicherungsscheins, der Versicherungsbedingungen und der Verbraucherinformationen als geschlossen, ... ." Im Anschluss an die Widerspruchsbelehrung ist vermerkt, dass dem Versicherungsschein die Vertragsunterlagen "E24 E30 E95" beigefügt sind. Zwar sind die Verbraucherinformationen nicht mit dieser Bezeichnung überschrieben, aus dem Zusammenhang mit der Anmerkung und den tatsächlich übersandten Unterlagen, von denen der Versicherungsschein und die Versicherungsbedingungen auch als solche bezeichnet sind, ergibt sich für einen durchschnittlichen Versicherungsnehmer aber unmissverständlich, dass es sich bei der Anlage E95 um die Verbraucherinformationen handelt.
3.) BGH · Urteil vom 14. Oktober 2015 · Az. IV ZR 388/13
Die Widerspruchsbelehrung sei in drucktechnisch deutlicher Form erteilt worden. Die vom Versicherer gewählte Form eines eigenständigen, durch Kursivdruck hervorgehobenen Absatzes am Ende des einseitigen Anschreibens, mit dem der Versicherer den Versicherungsschein und die erforderlichen Unterlagen dem Versicherungsnehmer übermittelt hat, genügt den gesetzlichen Anforderungen.
Die Widerspruchsbelehrung ist nicht deshalb unvollständig, weil die Angabe fehlt, an welche Anschrift der Widerspruch zu richten ist. Abgesehen davon, dass § 5a Abs. 2 Satz 1 VVG a.F. diese Angabe nicht verlangt, ist für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer ohne eine solche Angabe ersichtlich, dass er den Widerspruch an den Versicherer zu richten hat, der hier klar im Begleitschreiben und im Versicherungsschein bezeichnet ist.
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