Grundrechtsverletzung aufgrund fehlerhafter Gerichtsentscheidung

BVerfG · Beschluss vom 10. Oktober 2013 · Az. 1 BvR 1848/13

Entscheidung:

Das Urteil des Amtsgerichts Köln vom 14. Mai 2013 - 118 C 132/13 - verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 3 Absatz 1 des Grundgesetzes.

Fall:

Der Beschwerdeführer schloss im Jahr 2011 bei der Beklagten einen Rentenversicherungsvertrag ab. Die beklagte Versicherungsgesellschaft zog in der Folgezeit vertragsgemäß mtl. Eine Prämie vom Konto des Beschwerdeführers ein. Nach einer Aussetzung des Vertrages erklärte der Beschwerdeführer den Widerruf des Versicherungsvertrages und begehrte Rückzahlung der geleisteten Versicherungsbeiträge. Die Beklagte betrachtete den Widerruf als Kündigung und zahlte einen geringen Rückkaufswert aus. Der Beschwerdeführer beruft sich darauf durch den Repräsentanten R. die nach § 8 Abs. 2 VVG für den Beginn der Widerrufsfrist erforderlichen Unterlagen nicht erhalten zu haben.

Der Beschwerdeführer erhob deshalb Klage auf Auszahlung der von ihm geleisteten Versicherungsbeiträge, welche das Amtsgericht abwies. Zur Begründung führte es aus, es könne dahinstehen, ob der Beschwerdeführer die nach § 8 Abs. 2 VVG erforderlichen Unterlagen erhalten habe und damit die Widerrufsfrist in Lauf gesetzt worden sei. Jedenfalls habe der Beschwerdeführer den Vertrag durch sein Schreiben, in dem er um eine Aussetzung des Vertrages und anschließende Fortsetzung des Vertrages gebeten habe, im Sinne von § 8 Abs. 3 Satz 2 VVG bestätigt.

Mit der Verfassungsbeschwerde wendet sich der Beschwerdeführer gegen das Urteil und den seine Anhörungsrüge zurückweisenden Beschluss des Amtsgerichts. Er rügt einen u.a. Verstoß gegen das Willkürverbot des Art. 3 Abs. 1 GG.

Gründe:

Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist zur Durchsetzung des Grundrechts des Beschwerdeführers aus Art. 3 Abs. 1 GG angezeigt.

Ein Richterspruch verstößt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts dann gegen den allgemeinen Gleichheitssatz in seiner Ausprägung als Verbot objektiver Willkür (Art. 3 Abs. 1 GG), wenn er unter keinem denkbaren Aspekt rechtlich vertretbar ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass er auf sachfremden Erwägungen beruht. Das ist anhand objektiver Kriterien festzustellen. Schuldhaftes Handeln des Richters ist nicht erforderlich. Fehlerhafte Rechtsanwendung allein macht eine Gerichtsentscheidung nicht objektiv willkürlich. Schlechterdings unhaltbar ist eine fachgerichtliche Entscheidung vielmehr erst dann, wenn eine offensichtlich einschlägige Norm nicht berücksichtigt, der Inhalt einer Norm in krasser Weise missverstanden oder sonst in nicht mehr nachvollziehbarer Weise angewendet wird.

Nach diesem Maßstab steht die Abweisung der Klage im angegriffenen Urteil des Amtsgerichts mit Art. 3 Abs. 1 GG nicht im Einklang; die entsprechende Anwendung des § 8 Abs. 3 Satz 2 VVG durch das Amtsgericht ist unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt vertretbar.

Gemäß § 8 Abs. 3 Satz 2 VVG erlischt das Widerrufsrecht des Versicherungsnehmers, wenn der Vertrag von beiden Seiten auf ausdrücklichen Wunsch des Versicherungsnehmers vollständig erfüllt ist, bevor der Versicherungsnehmer sein Widerrufsrecht ausgeübt hat. Keine dieser Voraussetzungen ist bei dem zwischen den Parteien des Ausgangsverfahrens geschlossenen Rentenversicherungsvertrag gegeben. Die vollständige Erfüllung des Vertrages durch beide Vertragsparteien setzt mindestens voraus, dass der Versicherungsnehmer die Prämie vollständig gezahlt hat und durch den Versicherer kein Versicherungsschutz mehr zu gewähren ist. An beidem fehlt es: Der Rentenversicherungsvertrag des Beschwerdeführers lief über den Zeitpunkt des Widerrufs hinaus. Der Beschwerdeführer hatte somit weitere Prämien zu entrichten und die Beklagte weiter Versicherungsschutz bis zum Eintritt des Versicherungsfalls zu gewähren.

Das Amtsgericht konnte es deshalb nicht dahinstehen lassen, ob dem Beschwerdeführer die nach § 8 Abs. 2 VVG für den Beginn der Widerrufsfrist erforderlichen Unterlagen zugegangen waren. Der Beschwerdeführer hatte die entsprechende Behauptung der Beklagten wirksam bestritten. Solange es an diesem gemäß § 8 Abs. 2 Satz 2 VVG von der Beklagten zu führenden Beweis fehlt, besteht grundsätzlich ein ewiges Widerrufsrecht des Beschwerdeführers als Versicherungsnehmer. Eine zeitliche Höchstgrenze ist in § 8 Abs. 2 VVG - anders als noch in der Vorgängerregelung des § 5 a Abs.2 Satz 4 VVG a.F. - nicht vorgesehen. Auch die Voraussetzungen einer Verwirkung des Widerrufsrechts lagen hier ersichtlich nicht vor. Angesichts der kurzen verstrichenen Vertragslaufzeit von nur einem Jahr fehlte es bereits am erforderlichen Zeitmoment für eine Verwirkung des Widerrufrechts, so dass es auf das Schreiben des Beschwerdeführers, in welchem das Amtsgericht eine Bestätigung des Vertrages im Sinne von § 8 Abs. 3 Satz 2 VVG erblickt hat, als mögliches Umstandsmoment einer Verwirkung nicht mehr ankommen konnte.

Aus den vorstehenden Gründen erweist sich die entsprechende Anwendung des § 8 Abs. 3 Satz 2 VVG durch das Amtsgericht als unvertretbar. Sie ist unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt tragfähig. Es drängt sich der Eindruck einer an sachfremden Erwägungen orientierten Entscheidung des Amtsgerichts auf.

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