BGH Urteil vom 24.02.2016 – IV ZR 203/14: Widerspruch bringt Versicherungsvertrag zu Fall

Der Fall:

Die Klägerseite (Versicherungsnehmer) begehrt von dem beklagten Versicherer Rückzahlung geleisteter Versicherungsbeiträge einer fondsgebundenen Rentenversicherung nebst Zinsen abzüglich des bereits gezahlten Rückkaufswerts.Diese wurde aufgrund eines Antrags des Versicherungsnehmers mit Versicherungsbeginn zum 1. Dezember 2002 nach dem so genannten Policenmodell des § 5a VVG in der seinerzeit gültigen Fassung abgeschlossen. Der Versicherungsnehmer zahlte in der Folge die Versicherungsprämien. Mit Schreiben vom 20. April 2009 kündigte er den Versicherungsvertrag und der Versicherer zahlte den Rückkaufswert aus. Mit Schreiben vom 18. November 2010 erklärte der Versicherungsnehmer den Widerspruch gemäß § 5a VVG a.F. Nach Auffassung des Versicherungsnehmers ist der Versicherungsvertrag nicht wirksam zustande gekommen, weil er nicht ordnungsgemäß belehrt wurde. Auch nach Ablauf der Frist des - gegen Gemeinschaftsrecht verstoßenden - § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. habe der Widerspruch noch erklärt werden können.

Entscheidung:

Ein Anspruch auf Prämienrückzahlung aus § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB besteht. Der zwischen den Parteien geschlossene Versicherungsvertrag schafft keinen Rechtsgrund für die Prämienzahlung. Er ist infolge des Widerspruchs des Versicherungsnehmers nicht wirksam zustande gekommen. Der Widerspruch war - ungeachtet des Ablaufs der in § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. normierten Jahresfrist - rechtzeitig.

Begründung:        

Der Versicherer belehrte den Versicherungsnehmer nicht ordnungsgemäß im Sinne von § 5a Abs. 2 Satz 1 VVG a.F. über das Widerspruchsrecht. Die Widerspruchsbelehrung in dem maßgeblichen Versicherungsschein ist fehlerhaft, weil sie die fristauslösenden Unterlagen nicht zutreffend benennt. Nach § 5a Abs. 2 Satz 1 VVG a.F. setzt der Beginn der Widerspruchsfrist die Überlassung des Versicherungsscheins, der Versicherungsbedingungen und der Verbraucherinformation nach § 10a VAG voraus. In der hier erteilten Widerspruchsbelehrung werden hingegen einzelne Unterlagen herausgegriffen, die zu der Verbraucherinformation gehören; damit wird für den Versicherungsnehmer nicht klar, dass die nach § 10a VAG a.F. gesetzlich vorgeschriebene Verbraucherinformation, die der Versicherungsnehmer zur Auslösung des Laufs der Widerspruchsfrist zu erteilen ist, die Überlassung weiterer Unterlagen als der in der Widerspruchsbelehrung genannten voraussetzt. Es fehlt danach in der Widerspruchsbelehrung eine zutreffende Benennung der nach § 5a Abs. 2 Satz 1 VVG a.F. fristauslösenden Unterlagen.

Für einen solchen Fall bestimmte § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. zwar, dass das Widerspruchsrecht ein Jahr nach Zahlung der ersten Prämie erlischt. Das Widerspruchsrecht bestand hier aber nach Ablauf der Jahresfrist und noch im Zeitpunkt der Widerspruchserklärung fort. Das ergibt die richtlinienkonforme Auslegung des § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. auf der Grundlage der Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union. Die Regelung müsse richtlinienkonform dergestalt angewendet werden, dass sie im Anwendungsbereich der Zweiten und der Dritten Richtlinie Lebensversicherung keine Anwendung findet. Für davon erfasste Lebens- und Rentenversicherungen sowie Zusatzversicherungen zur Lebensversicherung besteht grundsätzlich ein Widerspruchsrecht fort, wenn der Versicherungsnehmer - wie hier - nicht ordnungsgemäß über das Recht zum Widerspruch belehrt worden ist und/oder die Verbraucherinformation oder die Versicherungsbedingungen nicht erhalten hat.

Ohne Belang ist es, ob der Versicherungsnehmer mit dem Versicherungsschein die weiteren erforderlichen Unterlagen zugingen. Dieser Umstand ändert nichts an der inhaltlichen Fehlerhaftigkeit der Belehrung.

Die Kündigung des Versicherungsvertrages steht dem späteren Widerspruch nicht entgegen. Ein Erlöschen des Widerspruchsrechts nach beiderseits vollständiger Leistungserbringung kommt ebenfalls nicht in Betracht.

Der Höhe nach umfasst der Rückgewähranspruch nach § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB nicht uneingeschränkt alle gezahlten Prämien. Vielmehr muss sich der Versicherungsnehmer bei der bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung den jedenfalls bis zur Kündigung des Vertrages genossenen Versicherungsschutz anrechnen lassen.

Fazit:

Alle Versicherungsnehmer, die nicht ausreichend oder fehlerhaft über ihre Rechte (insbesondere Widerspruch und Rücktritt) belehrt wurden, haben guten Chancen ihre gezahlten Beiträge nahezu komplett zurückzuerhalten…. 

Wie sollten sich Versicherungsnehmer verhalten?

Der Versicherungsnehmer sollte seine konkrete Belehrung von einem Anwalt überprüfen lassen und den Vertrag dann ggfls. von diesem widerrufen lassen, bevor er die Police im Original zu seinem Versicherer schickt. Nach unserer Erfahrung ist es zwecklos, dies ohne anwaltliche Hilfe zu versuchen, da Versicherungskunden dann zumeist nicht ernst genommen werden.

Was ist zu tun?

Sofern Versicherungskunden bereits rechtsschutzversichert sind, benötigen wir für eine kostenfreie Abschätzung der rechtlichen und wirtschaftlichen Erfolgsaussichten den Versicherungsantrag und die Police samt Begleitschreiben sowie Mitteilung über gezahlte Prämien und Versicherungsleistungen. Sofern noch keine Rechtsschutzversicherung besteht, kann hierfür eine Rechtsschutzversicherung abgeschlossen werden (BGH IV ZR 23/12), bevor Widerspruch oder Rücktritt ausgelöst werden.

Angebot:

Wir haben uns auf die bundesweite Vertretung von Versicherungskunden spezialisiert. Gern skizzieren wir Ihnen im Rahmen eines kostenfreien orientierenden Gespräches die möglichen Abläufe der Mandatsabwicklung. Gern können Sie uns hierfür auch das Ablehnungsschreiben des Versicherers, Ihre Police, die geltenden ARB sowie eventuell vorhandene Daten der Rechtschutzversicherung übermitteln.

Jens Reime - Anwalt für Bank- & Kapitalmarktrecht

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