Angabe einer falschen Widerrufsfrist bringt Versicherungsvertrag zu fall

KG · Urteil vom 13. Februar 2015 · Az. 6 U 179/13

Entscheidung:

Auf den Rücktritt des Versicherungsnehmers von dem Lebens-/Rentenversicherungsvertrag gemäß § 8 Abs. 5 VVG a. F. ist die Bestimmung des § 176 VVG a. F. nicht anzuwenden; die Rückabwicklung erfolgt gemäß § 346 ff. BGB. Der Versicherer kann von dem Wertersatzanspruch des Versicherungsnehmers in Höhe der gezahlten Prämien zwar den Risikoanteil, aber nicht die Abschluss- und Verwaltungskosten abziehen.

Fall:

Der Kläger begehrt von der Beklagten die Rückzahlung von auf eine fondsgebundene Rentenversicherung mit Kapitalwahlrecht gezahlten Prämien aufgrund erklärten Widerspruchs des Vertrages, nachdem er den abgeschlossenen Vertrag gekündigt und die Beklagte einen Rückkaufswert ausgezahlt hatte.

Gründe:

Dem Kläger steht gemäß § 346 BGB ein Anspruch auf Wertersatz in Höhe der auf die Rentenversicherung geleisteten Prämien zu, von dem er sich seinerseits den der Beklagten zustehenden Wertersatz für den Versicherungsschutz, die von der Beklagten abgeführten Steuern und den von der Beklagten bereits geleisteten Betrag abziehen lassen muss. Ein weitergehender Anspruch auf Herausgabe gezogener Nutzungen ist nicht begründet.

Der Kläger ist wirksam von dem mit der Beklagten abgeschlossenen Rentenversicherungsvertrag gemäß § 8 Abs. 5 VVG a. F. zurückgetreten, indem er „den Widerspruch gem. § 5a VVG a.F. bzw. nach § 8 VVG, bzw. den Widerruf nach § 355 BGB“ erklärte.

Gemäß § 8 Abs. 5 S. 1 VVG a. F. steht dem Versicherungsnehmer ein Rücktrittsrecht von vierzehn Tagen nach Abschluss des Vertrages zu. Gemäß § 8 Abs. 5 S. 3 VVG a. F. beginnt die Frist erst zu laufen, wenn der Versicherer den Versicherungsnehmer über sein Rücktrittsrecht belehrt und der Versicherungsnehmer die Belehrung durch Unterschrift bestätigt hat.

Diese Frist hat für den Kläger nicht zu laufen begonnen, da die Beklagte den Kläger in dem Antragsformular nicht ordnungsgemäß belehrt hat und eine fehlerhafte Belehrung einer fehlenden Belehrung gleichsteht. Die Belehrung über ein Rücktrittsrecht von 10 statt 14 Tagen war eindeutig falsch. Der Fehler kann durch die zutreffende Belehrung vor der Unterschrift nicht geheilt werden, da widersprüchliche Angaben ebenfalls fehlerhaft sind und in den Hinweisen vor der Unterschrift auf die Belehrung in den Schlusserklärungen verwiesen wurden.

Das Rücktrittsrecht des Klägers ist nicht gemäß § 8 Abs. 5 S. 4 VVG a. F. erloschen. Dort war vorgesehen, dass das Rücktrittsrecht bei einer unterbliebenen Belehrung einen Monat nach Zahlung der ersten Prämie erlischt. Diese Bestimmung ist jedoch richtlinienkonform einschränkend dahin auszulegen, dass sie im Bereich der Lebens- und Rentenversicherung nicht anwendbar ist.

Der Geltendmachung des Rücktrittsrechtes steht auch nicht Treu und Glauben (§ 242 BGB) entgegen, und zwar weder unter dem Gesichtspunkt der Verwirkung noch demjenigen des Rechtsmissbrauchs. Für die Ursächlichkeit des Fehlers der Belehrung kommt es auf die Versäumung der Rücktrittsfrist nicht an, sondern darauf, ob das Vertrauen des Versicherers in den Bestand des Vertrages schutzwürdig ist. Dies ist sowohl unter dem Gesichtspunkt der Verwirkung als auch demjenigen des Rechtsmissbrauchs bei einer fehlerhaften Belehrung zu verneinen.

Auch mehrfache Änderungen des Vertrages durch den Kläger - Änderung der Laufzeit, mehrfache Fondswechsel und Beitragsreduzierungen - können keinen schutzwürdigen Vertrauenstatbestand begründen, weil der Kläger durch diese Vertragsänderungen den Vertrag nicht erweitert hat. Er hat außer den Fondswechseln vielmehr die Laufzeit verkürzt, die Beiträge reduziert und der Beitragsdynamik widersprochen. Die Änderung der Aufteilung der Beiträge auf die einzelnen Investmentfonds oder gemanagten Portfolios durch den Versicherungsnehmer war vertraglich vorgesehen. Es handelte sich um die Ausübung vertraglicher Gestaltungsrechte im Rahmen der Durchführung des Vertrags, die zeigen, dass der Vertrag „gelebt“ wurde. Ihnen kommt kein anderer Stellenwert als der Prämienzahlung zu.

Aufgrund des wirksam erklärten Rücktritts ist der Vertrag nach den Rücktrittsvorschriften des allgemeinen Schuldrechts rückabzuwickeln; § 176 VVG a. F. und damit die Auflösung des Vertragsverhältnisses für die Zukunft kommt nicht zur Anwendung.

Eine Auflösung des Vertragsverhältnisses nur für die Zukunft entspricht dem Grundsatz, dass bei Dauerschuldverhältnissen an die Stelle des Rücktrittsrechts die Kündigung aus wichtigem Grund tritt, sofern nicht ein berechtigtes Interesse besteht, bereits erbrachte Leistungen rückgängig zu machen. Ein solches berechtigtes Interesse besteht hier aber. Dies ergibt sich aus der jeweiligen Entstehungsgeschichte des § 176 VVG a. F. und des § 8 Abs. 5 VVG a. F. und dem sich daraus jeweils ergebenden Sinn und Zweck der beiden Vorschriften. Der Gesetzgeber wollte sicherstellen, dass der Versicherer in den Fällen, in denen er entgegen dem gesetzmäßigen Verlauf des Vertrages aus besonderen Gründen vorzeitig von der Verpflichtung zur Leistung frei wird, nicht die mit den Zahlungen des Versicherungsnehmers gebildete Prämienreserve behalten darf, er also nicht auf Kosten des Berechtigten einen wirtschaftlich nicht gerechtfertigten Gewinn behalten darf.

Gegen eine bloße Aufhebung für die Zukunft spricht auch der Zweck der Richtlinie 3. DurchfG/EWG vom 21.7.1994, den Versicherungsnehmer vor den Folgen eines voreiligen Vertragsschlusses zu schützen, ihm also ein Reurecht einzuräumen. Daraus ergibt sich, dass es sich nicht nur um ein außerordentliches Kündigungsrecht handeln sollte, sondern um ein echtes Lösungsrecht von den eingegangenen, in der Regel langfristigen Verpflichtungen. Dafür spricht des weiteren, dass auch die nach europäischen Vorgaben zum Zwecke des Verbraucherschutzes eingeräumten Widerrufsrechte der Sache nach besonders ausgestaltete Rücktrittsrechte sind.

Rechtsfolge des Rücktritts gemäß § 346 Abs. 1 BGB ist, dass die Vertragsparteien die empfangenen Leistungen zurückzugewähren und die gezogenen Nutzungen herauszugeben haben. Da die Beklagte die Prämien des Klägers allerdings in die von dem Kläger ausgewählten Fonds investierte, soweit sie diese nicht zur Abdeckung von Kosten und Risiken verwendete, und ihr die Herausgabe damit unmöglich geworden ist, hat sie statt der Rückgewähr analog § 346 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 und 3 BGB grundsätzlich Wertersatz zu leisten. Gemäß § 346 Abs. 3 Nr. 2 BGB entfällt die Pflicht zum Wertersatz, “soweit der Gläubiger die Verschlechterung oder den Untergang zu vertreten hat oder der Schaden bei ihm gleichfalls eingetreten wäre”. Von § 346 Abs. 3 Nr. 2 BGB sind auch die Fälle umfasst, in denen der Untergang oder die Verschlechterung in den Risikobereich des Gläubigers fällt, ohne dass es auf ein Verschulden im engeren Sinne ankäme. Es ist daher ein vernünftiger Ausgleich und eine gerechte Risikoverteilung zwischen den Parteien herzustellen.

Der Versicherer kann sowohl bei der Rückabwicklung auf der Grundlage des § 5 a VVG a. F. als auch des § 8 Abs. 5 VVG a. F. seinerseits Wertersatz für den während der Prämienzahlung gewährten Versicherungsschutz verlangen. Von dem Wertersatzanspruch des Klägers in Höhe der Prämien sind demzufolge die rechnerischen Risikobeiträge abzuziehen.

Die Abschluss- und Verwaltungskosten sind nicht abzuziehen. Die Beklagte darf sich hinsichtlich der Abschluss- und Verwaltungskosten nicht auf die vertragsgemäße Verwendung der Prämien berufen, weil dies einer faktischen Durchführung des Vertrages gleichkäme und das Rücktrittsrecht damit faktisch leerliefe. Könnte die Beklagte die in der Rückkaufswertberechnung aufgeführten Kosten von dem Prämienrückzahlungsanspruch abziehen, bliebe es letztlich bei dem Vollzug des Vertrages. Eine solche Ausgestaltung der Rücktrittsfolgen würde gegen den unionsrechtlichen Auslegungsgrundsatz des Effektivitätsgebot verstoßen. Denn wenn das Rücktrittsrecht über derart lange Zeiträume wie vorliegend allein deshalb fortbesteht, weil der Versicherer den Versicherungsnehmer unzureichend über dieses Recht belehrt hat, so muss es bei der Risikoabwägung in seinen Risikobereich fallen, dass die auf den Abschluss und die Verwaltung des Vertrags aufgewendeten Kosten vergeblich waren.

Allerdings ist noch die von der Beklagten für den Kläger abgeführten Kapitalertragsteuer nebst Solidaritätszuschlag abzuziehen; denn erst mit dem Rücktritt ist diese Steuerschuld rückwirkend entfallen; es ist daher Sache des Klägers, die Rückforderung gegenüber dem Finanzamt geltend zu machen.

Ein Abzug von 8 % nach den AVB § 9 Nr. 3 „als angemessen angesehener Abzug“ ist unabhängig von der Frage der Wirksamkeit der Klausel im Hinblick auf die Rückabwicklung des Vertrages, der die Kündigung rückwirkend hinfällig macht, nicht anzuwenden.

Damit hat die Beklagte Wertersatz wegen der erhaltenen Prämien zu leisten. Davon ist der gezahlte Rückkaufswert im Wege der Verrechnung abzuziehen.

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