Zeitpunkt des Eintritts eines Versicherungsfalls - Vorvertraglichkeit

Entscheidungen des OLG Köln 16.02.16, 9 U 159/15 sowie BGH 24.04.2013 – IV ZR 23/12; BGH 05.11.2014 IV ZR 22/13; BGH 30.04.2014 – IV ZR 47/13 und Urteil des LG München I vom 21.03.13 Az. 25 O 7649/12.

Immer wieder kommt es zu Streitigkeiten mit der Rechtsschutzversicherung, welche die Deckungszusage mit der Begründung der „Vorvertraglichkeit“ verweigert. Anhand einiger prägnanter Entscheidungen soll gezeigt werden, was diesem Einwand entgegengehalten werden kann…

Die Bestimmung in den Allgemeinen Rechtsschutzversicherungsbedingungen (ARB), wonach der Versicherungsfall bereits als eingetreten gilt, wenn ein Dritter begonnen hat oder begonnen haben soll, gegen Rechtspflichten oder Rechtsvorschriften zu verstoßen, und bei mehreren Verstößen der erste adäquat- ursächliche maßgeblich sein soll, bedarf der einschränkenden Auslegung. Der gesetzes- oder Pflichtenverstoß eines Dritten, mag er auch die spätere Rechtsverfolgung des VN adäquat- kausal begründen, kann nur dann den Rechtsschutzfall auslösen und zeitlich festlegen, wenn bereits ein gesetzliches oder vertragliches Schuldverhältnis zwischen dem VN und seinem Gegner ansteht (BGH 05.11.2014 IV ZR 22/13).

Entscheidend über die zeitliche Einordnung des Rechtsschutzfalles ist allein der Tatsachenvortrag, mit dem der Versicherungsnehmer den Verstoß begründet. Als frühestmöglicher Zeitpunkt kommt dabei erst das seinem Anspruchsgegner vorgeworfene pflichtwidrige Verhalten in Betracht, aus dem der Versicherungsnehmer seinen Anspruch hergeleitet hat. Das ist die erklärte Weigerung des Haftpflichtversicherers, für die Pflichtverletzungen des Wirtschaftsprüfers Deckung zu gewähren.

Die Bestimmung in den ARB, wonach der Versicherungsfall bereits als eingetreten gilt, wenn ein Dritter begonnen hat oder begonnen haben soll, gegen Rechtspflichten oder Rechtsvorschriften zu verstoßen, und bei mehreren Verstößen der erste adäquatursächliche maßgeblich sein soll, führt zu keinem anderen Ergebnis. Allerdings kann diese Anknüpfung an die erste Ursache des Schadens zu einer sehr weiten Vorverlagerung des Versicherungsfalles führen. Ihre wortlautkonforme Anwendung birgt die Gefahr einer uferlosen Rückverlagerung des für die zeitliche Bestimmung des Rechtsschutzversicherungsfalles maßgeblichen Geschehens in sich, die in der Mehrzahl der Fälle den berechtigten Interessen des Versicherungsnehmers widerspricht, weil sie häufig zur Annahme von Vorvertraglichkeit führt. Umgekehrt sind aber auch berechtigte Interessen des Versicherers berührt, weil der Regelungswortlaut eine zeitlich weit ausgedehnte Nachhaftung zur Folge haben kann. Die Klausel hält deshalb nur in einer interessegerechten einschränkenden Auslegung nach dem maßgeblichen Verständnis eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers einer Inhaltskontrolle (§ 307 BGB) stand.

Den beiden in den ARB beschriebenen Rechtsschutzfällen ist gemein, dass sie - für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer erkennbar - nach Wortlaut, Systematik und Zweck gleichermaßen erst über die Verletzung von Pflichten eines den Versicherungsnehmer und seinen Gegner verbindenden Schuldverhältnisses festgelegt werden. Dabei kann es sich sowohl um ein gesetzliches als auch um ein vertragliches Schuldverhältnis handeln. Ohne diesen rechtlichen Bezug des Erstereignisses zum Rechtsschutzbegehren des Versicherungsnehmers ist eine interessengerechte zeitliche Einordnung des Versicherungsfalles nicht möglich. Der Gesetzes- oder Pflichtenverstoß eines Dritten, mag er auch die spätere Rechtsverfolgung des Versicherungsnehmers adäquatkausal begründen, kann deshalb nur dann den Rechtsschutzfall auslösen und zeitlich festlegen, wenn zeitgleich bereits ein solches Verhältnis zwischen dem Versicherungsnehmer und seinem Gegner ansteht aus dem der Kläger seinen Anspruch herleiten kann.

So tritt zB der Rechtsschutzfall iFd Widerrufs eines DarlehensV mit der Verweigerung des Vertragspartners des VN ein, das Widerrufsrecht des VN und die von ihm geforderte Rückabwicklung des DarlehensV anzuerkennen (OLG Köln 16.02.16, 9 U 159/15 sowie BGH 24.04.2013 – IV ZR 23/12).

Für die Entscheidung der Frage der Vorvertraglichkeit kommt es nicht darauf an, ob der Streit über die Berechtigung des vom Kläger erklärten Widerrufs darauf beruht, dass die im Darlehensvertrag vorhandene Widerrufsbelehrung vermeintlich fehlerhaft oder den gesetzlichen Vorgaben überhaupt nicht vorhanden war. Dass die Widerrufsbelehrung nicht ordnungsgemäß oder gar nicht erteilt worden war, wirft der Kläger der Darlehensgeberin nicht als Pflichtenverstoß vor. Dem Kläger geht es nicht um die "Nachbesserung" einer fehlerhaften Belehrung, sondern um die Rückabwicklung des Darlehensvertrages, zu deren Berechtigung er sich gerade auf den Erhalt seines Widerrufsrechts beruft. Welcher Art der Pflichtenverstoß bei Abschluss des Darlehensvertrages war, ist unerheblich, weil der Versicherungsfall allein in der Weigerung der Darlehensgeberin liegt, die begehrte Rückabwicklung des Vertrages anzuerkennen.

Des Weiteren muss ein Bezug zum Versicherungsnehmer selbst bestehen. Das den Eintritt des Rechtsschutzfalles bestimmende schädigende Verhalten muss nach dem Tatsachenvortrag des Versicherungsnehmers ihm gegenüber begangen sein. Ohne diesen Bezug fehlt es an der Eignung, einen Versicherungsfall auszulösen (BGH 30.04.2014 – IV ZR 47/13).

Der Rechtsschutzfall wird über den Eintritt des dem Anspruchsgegner angelasteten pflichtwidrigen Verhaltens dem Versicherungsnehmer gegenüber als frühst möglicher Zeitpunkt in den ARB festgelegt. Der verständige, auch den Sinnzusammenhang und Zweck der die ARB in den Blick nehmende Versicherungsnehmer erkennt, dass sie dem reinen Wortlaut nach zu weit gefasst ist und den Versicherungsschutz leerlaufen lässt. Er ist daher so zu verstehen, dass das den Rechtsschutzfall bestimmende Erstereignis nur ein solches sein kann, das sich auf seine Rechtsgüter auszuwirken vermag und deshalb den Eintritt eines Schadens gerade für ihn hinreichend wahrscheinlich macht.

So ist zB nicht schon die Eingehung einer Kapitalanlage der für den Beginn des Rechtsschutzfalles maßgelbliche Zeitpunkt, sondern erst die spätere, zum Zeitpunkt bestehender Rechtsschutzversicherung, begangene Betrug zu Lasten des Versicherungsnehmers der maßgebliche Anknüpfungspunkt.

Mit dem maßgeblichen Pflichtverletzungsvorwurf erhält der Versicherungsnehmer Anlass, für die Durchsetzung seiner Rechte kostenauslösende Maßnahmen zu ergreifen. Von diesem Zeitpunkt an kommt der Abschluss einer kostenüberwälzenden Rechtsschutzversicherung nicht mehr in Betracht. Ein solcher Zweckabschluss scheidet aber aus, wenn - wie hier - bei der Entwicklung eines Anlageprodukts noch keinerlei Grund und Möglichkeit für kostenauslösende Maßnahmen besteht. Ebenso wenig wie bei etwa anlässlich eines einzugehenden Mietverhältnisses oder beabsichtigten Erwerbs eines Kraftfahrzeugs zur Teilnahme am Straßenverkehr genommenen Rechtsschutzversicherungen handelt es sich beim Abschluss einer Rechtsschutzversicherung um einen derartigen Zweckabschluss, wenn sich der Versicherungsnehmer schon mit Geldanlagegedanken trägt.

Ein schädigendes Verhalten oder Schadensereignis ist danach der äußere Vorgang, der den Schaden unmittelbar herbeiführt oder der Eintritt des Verletzungszustandes hervorruft (Urteil des LG München I vom 21.03.13 Az. 25 O 7649/12).

Im Falle von zB schadhafter Implantate stellt erst das spätere Reißen der Implantatshülle und nicht das zeitlich zuvor angesiedelte Implantieren der schadhaften Implantate das schädigende Ereignis und damit den Beginn des Rechtsschutzfalles dar (Folgeereignistherorie). Bei einem Rechtsschutzfall aus ärztlichem Behandlungsfehler ist dann nicht bereits der Behandlungsfehler, sondern erst der Beginn der Gesundheitsbeeinträchtigungen der zeitlich relevante Versicherungsfall.

Danach lässt sich folgendes zusammenfassen:

1.       Der gesetzes- oder Pflichtenverstoß eines Dritten, mag er auch die spätere Rechtsverfolgung des VN adäquat- kausal begründen, kann nur dann den Rechtsschutzfall auslösen und zeitlich festlegen, wenn bereits ein gesetzliches oder vertragliches Schuldverhältnis zwischen dem VN und seinem Gegner ansteht.

2.       Das den Eintritt des Rechtsschutzfalles bestimmende schädigende Verhalten muss nach dem Tatsachenvortrag des Versicherungsnehmers ihm gegenüber begangen sein. Ohne diesen Bezug fehlt es an der Eignung, einen Versicherungsfall auszulösen.

3.       Ein schädigendes Verhalten oder Schadensereignis ist danach der äußere Vorgang, der den Schaden unmittelbar herbeiführt oder der Eintritt des Verletzungszustandes hervorruft.

Erst beim Zusammentreffen aller drei Gesichtspunkte, kann vom Beginn des Versicherungsfalles ausgegangen werden. Bestand zu diesem Zeitpunkt der Versicherungsvertrag schon (Ablauf der Wartefrist), besteht Erfolgsaussicht den Einwand der Vorvertraglichkeit zu Fall zu bringen.

 

Zu beachten ist hier jedoch, dass eine Rechtsschutzversicherung erst eingreift, wenn diese für mindestens  3 Monate bestand.

Sollten auch Sie überlegen, z.B. aus Ihrem Lebensversicherungsvertrag herauszukommen oder diesen bereits gekündigt haben, sollten Sie Ihre Ansprüche durch einen Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht überprüfen lassen. Gegebenenfalls ist „mehr“ für sie drin.

 

Natürlich auch, wenn keine Rechtsschutzversicherung besteht. Sprechen Sie uns an. Die telefonische Erstberatung ist kostenlos.

 

Mehr Informationen:    

www.sundk-schadenhilfe.de

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www.schiffsfonds-schadenhilfe.de

www.vplus-schutzgemeinschaft.de

www.lebensversicherung-aufloesen.de

www.rechtsanwalt-reime.de

Als Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht vertritt Herr Rechtsanwalt Jens Reime Mandanten aus dem gesamten Bundesgebiet an allen Amts-, Land- und Oberlandesgerichten sowie Kammergerichten. Als Mandant profitieren Sie von seinen vertieften fachspezifischen Kenntnissen auf dem Gebiet des Bank- und Kapitalmarktrechtes sowie des Versicherungsrechtes, welche individuell und effizient mittels schneller und moderner Kommunikationsmittel umgesetzt werden.

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