BGH vom 23.09.2015 – IV ZR 179/14: Erfolgreicher Widerspruch

Der Fall:

Der Kläger (Versicherungsnehmer) begehrt von dem beklagten Versicherer Rückzahlung geleisteter Versicherungsbeiträge einer kapitalbildenden Lebensversicherung mit vorgezogenen Teilauszahlungen. Diese wurde aufgrund eines Antrags des Versicherungsnehmers nach dem so genannten Policenmodell des § 5a VVG in der seinerzeit gültigen Fassung abgeschlossen.

Nach 14 Jahren Vertragslaufzeit kündigte der Versicherungsnehmer den Vertrag und der Versicherer zahlte den Rückkaufswert abzüglich der bereits erfolgten Teilauszahlungen aus. 3 Jahre danach erklärte der Versicherungsnehmer unter anderem schließlich den Widerspruch nach § 5a Abs. 1 Satz 1 VVG a.F. Mit der Klage verlangt der Versicherungsnehmer Rückzahlung aller auf den Vertrag geleisteten Beiträge nebst Zinsen abzüglich des bereits gezahlten Rückkaufswerts.

Entscheidung:

Ein Anspruch auf Prämienrückzahlung aus § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB zugunsten des Versicherungsnehmers besteht. Der zwischen den Parteien geschlossene Versicherungsvertrag stellt keinen Rechtsgrund für die Prämienzahlung dar. Er ist infolge des Widerspruchs des Versicherungsnehmers nicht wirksam zustande gekommen. Der Widerspruch war - ungeachtet des Ablaufs der in § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. normierten Jahresfrist - rechtzeitig.

Begründung:

Bei dem vorliegenden Vertrag handelt es sich um einen Vertrag im sogenannten Policenmodell. Der Versicherer hat bei Antragstellung die nach § 10a VAG erforderliche Verbraucherinformation dem Versicherungsnehmer nicht vollständig ausgehändigt, sondern die Garantiewerte und die garantierten beitragsfreien Versicherungssummen erst mit dem Versicherungsschein übermittelt.

Es kommt daher grundsätzlich zur Anwendung des Policenmodells, da einzelne Informationen bei Antragstellung dem Versicherungsnehmer nicht erteilt worden sind. Hier fehlte es an einer Widerspruchsbelehrung, so dass keine ordnungsgemäße Belehrung i.S. von § 5a Abs. 2 Satz 1 VVG erfolgt ist. Für einen solchen Fall bestimmte § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. zwar, dass das Widerspruchsrecht ein Jahr nach Zahlung der ersten Prämie erlischt.

Das Widerspruchsrecht bestand hier aber nach Ablauf der Jahresfrist und noch im Zeitpunkt der Widerspruchserklärung fort. Das ergibt die richtlinienkonforme Auslegung des § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. auf der Grundlage der Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union.

Die Regelung muss demnach so ausgelegt werden, dass sie im Anwendungsbereich Richtlinie keine Anwendung findet und für davon erfasste Lebens- und Rentenversicherungen sowie Zusatzversicherungen zur Lebensversicherung grundsätzlich ein Widerspruchsrecht fortbesteht, wenn der Versicherungsnehmer - wie hier - nicht ordnungsgemäß über das Recht zum Widerspruch belehrt worden ist und/oder die Verbraucherinformation oder die Versicherungsbedingungen nicht erhalten hat.

Die Kündigung des Versicherungsvertrages steht dem späteren Widerspruch nicht entgegen. Ein Erlöschen des Widerspruchsrechts nach beiderseits vollständiger Leistungserbringung kommt ebenfalls nicht in Betracht.

Der Höhe nach umfasst der Rückgewähranspruch nach § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB zunächst alle seit Vertragsschluss geleisteten Prämien, jedoch nicht völlig uneingeschränkt. Vielmehr muss sich der Versicherungsnehmer bei der den jedenfalls bis zur Kündigung des Vertrages genossenen Versicherungsschutz anrechnen lassen.

Fazit:

Alle Versicherungsnehmer, die nicht ausreichend oder fehlerhaft über ihre Rechte (insbesondere Widerspruch und Rücktritt) belehrt wurden, haben guten Chancen ihre gezahlten Beiträge nahezu komplett zurückzuerhalten….

Wie sollten sich Versicherungsnehmer verhalten?                                            

Der Versicherungsnehmer sollte seine konkrete Belehrung von einem Anwalt überprüfen lassen und den Vertrag dann ggfls. von diesem widerrufen lassen,

bevor er die Police im Original zu seinem Versicherer schickt.

Nach unserer Erfahrung ist es zwecklos, dies ohne anwaltliche Hilfe zu versuchen, da Versicherungskunden dann zumeist nicht ernst genommen werden.

Was ist zu tun?

Sofern Versicherungskunden bereits rechtsschutzversichert sind, benötigen wir für eine kostenfreie Abschätzung der rechtlichen und wirtschaftlichen Erfolgsaussichten den

Versicherungsantrag und die

Police samt Begleitschreiben sowie Mitteilung über gezahlte

Prämien und

Versicherungsleistungen.

Sofern noch keine Rechtsschutzversicherung besteht, kann hierfür eine Rechtsschutzversicherung abgeschlossen werden (BGH IV ZR 23/12), bevor Widerspruch oder Rücktritt ausgelöst werden.

Jens Reime - Anwalt für Bank- & Kapitalmarktrecht

Rechtsanwalt Jens Reime
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