BGH vom 07.05.2014 – IV ZR 76/11: Das „ewige“ Widerspruchsrecht – Kläger obsiegt, Versicherungsvertrag rückabgewickelt- Beiträge zurückgezahlt

Der Fall:

Der Kläger verlangt von der Beklagten Rückzahlung von Versicherungsbeiträgen und Schadensersatz. Er beantragte bei der Beklagten den Abschluss eines Versicherungsvertrages. Die Allgemeinen Versicherungsbedingungen und die Verbraucherinformation erhielt er erst mit dem Versicherungsschein. Er wurde nicht in drucktechnisch deutlicher Form über sein Widerspruchsrecht nach § 5a des Gesetzes über den Versicherungsvertrag in der geltenden Fassung belehrt. 4 Jahre zahlte der Kläger Versicherungsbeiträge ein und kündigte dann der Vertrag. Der Versicherer kehrte ihm einen Betrag als Rückkaufswert aus. Daraufhin erklärte der Kläger den Widerspruch nach § 5a Abs. 1 Satz 1 VVG a.F. gegenüber der beklagten Versicherung und forderte sie zur Rückzahlung aller Beiträge nebst Zinsen auf.

Entscheidung:

Ein Rücktritts- oder Widerspruchsrecht erlischt nicht spätestens ein Jahr nach Zahlung der ersten Versicherungsprämie, wenn der Versicherungsnehmer nicht über das Recht zum Rücktritt oder Widerspruch belehrt worden ist

Begründung:

Der Versicherungsnehmer kann dem Grunde nach aus ungerechtfertigter Bereicherung Rückzahlungen der an den Versicherer gezahlten Prämien unter Anrechnung genutzter Vorteile, verlangen, weil er diese rechtsgrundlos geleistet hat. Ein Rechtsgrund besteht insbesondere nicht in dem zwischen den Parteien geschlossenen Versicherungsvertrag. Dieser kam aufgrund des rechtzeitigen erklärten Widerspruchs nicht rechtswirksam zustande.

Der Versicherungsnehmer wurde nicht in drucktechnisch deutlicher Form iSv § 5a Abs. 2 Satz 1 VVG a.F. über sein Widerspruchsrecht belehrt. Der in diesem Fall greifende Satz 4 der Vorschrift, dass das Recht zum Widerspruch dann spätestens ein Jahr nach Zahlung der ersten Prämie erlösche, greife aufgrund richtlinienkonformer Auslegung (Art. 15 Abs. 1 der Zweiten Richtlinie Lebensversicherung unter Berücksichtigung des Art. 31 der Dritten Richtlinie Lebensversicherung) nicht für Lebensversicherungen (und Rentenversicherungen). Auch die ähnlich lautende Vorschrift des § 8 Abs. 4 Satz 4 und Abs. 5 Satz 4 VVG a.F., wonach das Widerrufsrecht einen Monat nach Zahlung der ersten Prämie erlösche, ist auf Lebensversicherungen nicht anwendbar. An dieses Auslegungsergebnis sind die nationalen Gerichte gebunden und verpflichtet, die Auslegung des nationalen Rechts zu übernehmen.

Das Widerspruchsrecht des Klägers ist auch nicht aus anderen Gründen entfallen. So stellt die spätere Kündigung kein Grund für ein Erlöschen des Widerspruchsrechts dar. Auch liegt kein Fall von einer gegen Treu und Glauben verstoßende Rechtsausübung oder widersprüchliche und damit unzulässige Rechtsausübung vor.

Von der Höhe her kann der Kläger allerdings nicht alle gezahlten Prämienen, nebst Zinsen zurückverlangen. Es muss ein vernünftiger Ausgleich und eine gerechte Risikoverteilung zwischen den Beteiligten hergestellt werden. Der Versicherungsnehmer hat während der Prämienzahlung Versicherungsschutz genossen. Es ist davon auszugehen, dass er diesen im Versicherungsfall in Anspruch genommen hätte. Dies muss er sich anrechnen lassen.

Fazit:

Alle Versicherungsnehmer, die nicht ausreichend oder fehlerhaft über ihre Rechte (insbesondere Widerspruch und Rücktritt) belehrt wurden, haben guten Chancen ihre gezahlten Beiträge nahezu komplett zurückzuerhalten….

Wie sollten sich Versicherungsnehmer verhalten?

Der Versicherungsnehmer sollte seine konkrete Belehrung von einem Anwalt überprüfen lassen und den Vertrag dann ggfls. von diesem widerrufen lassen,

bevor er die Police im Original zu seinem Versicherer schickt.

Nach unserer Erfahrung ist es zwecklos, dies ohne anwaltliche Hilfe zu versuchen, da Versicherungskunden dann zumeist nicht ernst genommen werden.

 

Was ist zu tun?

Sofern Versicherungskunden bereits rechtsschutzversichert sind, benötigen wir für eine kostenfreie Abschätzung der rechtlichen und wirtschaftlichen Erfolgsaussichten den

Versicherungsantrag und die

Police samt Begleitschreiben sowie

Mitteilung über gezahlte Prämien und Versicherungsleistungen.

Sofern noch keine Rechtsschutzversicherung besteht, kann hierfür eine Rechtsschutzversicherung abgeschlossen werden (BGH IV ZR 23/12), bevor Widerspruch oder Rücktritt ausgelöst werden.

Jens Reime - Anwalt für Bank- & Kapitalmarktrecht

Rechtsanwalt Jens Reime
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