Verletzung der vorvertraglichen Anzeigepflicht

Allgemein:

Dem Versicherungsnehmer gibt § 19 Abs. 1 VVG die Pflicht auf, alle ihm bekannten Umstände, die für die Übernahme der Gefahr durch den Versicherer erheblich sind und nach denen er in Textform gefragt wurde, anzuzeigen. Dies hat bis zur Abgabe eines Versicherungsantrag zu erfolgen. Auch Fragen des Versicherers nach Antragsstellung und vor Übersendung des Versicherungsscheines sind wahrheitsgemäß zu beantworten.

Verletzt der Versicherungsnehmer diese Pflicht, kann der Versicherer den Versicherungsvertrag kündigen. Allerdings muss der Versicherungsnehmer zuvor in Textform auf die Folgen dieser Pflichtverletzung hingewiesen worden sein. Kannte der Versicherer den nicht angezeigten Gefahrenumstand oder fehlt es an dem Folgenhinweis, kommt eine Kündigung nicht in Betracht. Nichts desto trotz kann der Versicherer dann die Prämie erhöhen oder einen Risikoausschluss erklären Hieraus kann der Versicherungsnehmer wiederum von seinem Recht auf Kündigung Gebrauch machen. Bei fahrlässiger und auch grob fahrlässiger Verletzung des vorvertraglichen Anzeigepflicht bleibt dennoch eine Leistungspflicht des Versicherers bestehen.

Im Falle einer grob fahrlässigen und vorsätzlichen Verletzung kann der Versicherer innerhalb von 5 bzw. 10 Jahren den Rücktritt vom Vertrag erklären. Bei Vorsätzlicher Verletzung wird er dann sogar von seiner Leistungspflicht befreit.

Tritt zur Vorsätzlichkeit noch Arglistige Täuschung hinzu, kann der Versicherungsvertrag angefochten werden, mit der Wirkung, dass er als von Anfang an als nicht bestehend behandelt wird. Demnach sind die gezahlten Versicherungsprämien zurück zu erstatten und Versicherungsleistungen zurückzuzahlen, Die Leistungspflicht des Versicherers erlöscht komplett.

BGH · Urteil vom 25. November 2016 · Az. IV ZR 277/14

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Rückerstattung von Versicherungsprämien für eine Lebensversicherung.

Die Klägerin ist Alleinerbin verstorbenen Ehemannes, zu dessen Gunsten seine letzte Arbeitgeberin bei der Beklagten eine Gruppen-Lebensversicherung mit Berufsunfähigkeitszusatzversicherung unterhielt. Anlässlich eines Wechsels schriftlich gestellten Fragen der Beklagten nach gesundheitlichen Störungen verneinte der Ehemann, obwohl er zu dieser Zeit bereits an Morbus Parkinson erkrankt war. Er wurde 12 Jahre später berufsunfähig und machte bei der Beklagten Leistungsansprüche aus der Berufsunfähigkeitszusatzversicherung geltend, wobei er die Krankheiten angab. Die Beklagte focht daraufhin ihre Vertragserklärung zum Abschluss der Berufsunfähigkeitsversicherung wegen arglistiger Täuschung an.

Gründe

Die Klägerin hat aus § 812 Abs. 1 Satz 1, Alternative 1 BGB einen Anspruch auf Rückerstattung der entrichteten Prämien. Deren Zahlung ist ohne Rechtsgrund erfolgt, weil die Beklagte infolge der Berufsunfähigkeit des Versicherten im genannten Zeitraum die Beitragsfreistellung des Hauptvertrages aus der Berufsunfähigkeitszusatzversicherung schuldete.

Das Berufungsgericht hat zutreffend dargelegt, dass die in § 124 Abs. 3 BGB geregelte zehnjährige Ausschlussfrist für die Erklärung der Arglistanfechtung hier abgelaufen war. Anders als das Berufungsgericht meint, gibt es keine Gründe, die der Geltung der Frist und damit der Ausschlusswirkung des Fristversäumnisses entgegenstehen. Die in § 21 Abs. 3 VVG n.F. getroffene Fristenregelung für die Wahrnehmung der Rechte des Versicherers aus § 19 Abs. 2 bis 4 VVG n.F. ist auf die Wirksamkeit der Zehnjahresfrist des § 124 Abs. 3 BGB und die Rechtsfolgen ihrer Versäumnis ohne Einfluss.

Das folgt schon aus dem Gesetzeswortlaut, denn zum einen stellt § 21 Abs. 3 Satz 1 VVG einleitend klar, dass die nachfolgende Fristenregelung des § 21 Abs. 3 VVG nur die Rechte des Versicherers nach § 19 Abs. 2 bis 4 VVG betrifft, zum anderen bestimmt § 22 VVG, dass das Recht des Versicherers, den Vertrag wegen arglistiger Täuschung anzufechten, "unberührt" bleibt, so dass hier allein die Ausschlussfrist des § 124 Abs. 3 BGB gilt. Dabei belegen die systematische Stellung der Vorschrift und ihre Entstehungsgeschichte, wovon das in den §§ 123 f. BGB geregelte Anfechtungsrecht unberührt bleiben soll, nämlich von sämtlichen dem § 22 VVG n.F. vorangestellten Vorschriften der §§ 19 bis 21 VVG n.F. über die vorvertragliche Anzeigeobliegenheit des Versicherungsnehmers und die Rechtsfolgen ihrer Verletzung. Bereits das bis zum 1. Januar 2008 geltende alte Versicherungsvertragsgesetz (VVG a.F.) sah in § 22 VVG a.F. vor, dass das Recht zur Arglistanfechtung von den Vorschriften über die vorvertragliche Anzeigenobliegenheit des Versicherungsnehmers (§§ 16 bis 21 VVG a.F.) unberührt bleiben sollte. Seinerzeit bestand Einigkeit darüber, dass diese Vorschriften für die Arglistanfechtung durch den Versicherer nicht galten, sich das Anfechtungsrecht vielmehr allein nach den Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches bestimmte.

Mit der Einführung des § 22 VVG n.F. war - abgesehen vom Wegfall der in § 22 VVG a.F. noch enthaltenen Beschränkung des Anfechtungsrechts auf Täuschungen über Gefahrumstände - keine weitergehende sachliche Änderung verbunden.

Die herrschende Meinung nimmt deshalb zu Recht an, dass für die Erklärung der Arglistanfechtung des Versicherers nach wie vor die Ausschlussfrist des § 124 Abs. 3 BGB gilt.

Das Berufungsgericht verkennt, dass der eindeutige Gesetzeswortlaut des § 22 VVG n.F. einer auf § 21 Abs. 3 VVG gestützten einschränkenden Auslegung des § 124 Abs. 3 BGB entgegensteht. Es lässt sich keine verdeckte Regelungslücke im Sinne einer planwidrigen Unvollständigkeit des Gesetzes finden, die den Weg einer Rechtsfortbildung des § 124 Abs. 3 BGB mittels teleologischer Reduktion eröffnen könnte. Vielmehr ist der Gesetzesbegründung zu entnehmen, dass mit der zehnjährigen Ausschlussfrist des § 21 Abs. 3 Satz 2 VVG n.F. gerade eine dem § 124 Abs. 3 BGB entsprechende Befristung erreicht werden sollte (BT-Drucks. 16/3945 S. 67). Das steht der Annahme entgegen, die in § 21 Abs. 3 VVG getroffene Regelung sei in Wahrheit auf eine Änderung oder Lockerung der Zehnjahresfrist aus § 124 Abs. 3 BGB gerichtet.

Anhaltspunkte dafür, dass - wie die Revisionserwiderung lediglich andeutet - der Versicherungsfall im Streitfall unter Verstoß gegen Treu und Glauben absichtlich spät gemeldet worden wäre, um der Beklagten die rechtzeitige Geltendmachung ihrer Rechte aus § 19 Abs. 2 bis 4 VVG oder § 123 BGB zu erschweren, sind nach den Feststellungen des Berufungsgerichts nicht ersichtlich. Die Beklagte hat sich in den Vorinstanzen darauf auch nicht berufen.

Der Senat hält daran fest, dass keine Ansprüche des Versicherers gegen den Versicherungsnehmer aus Pflichtverletzung bei Vertragsschluss (§ 280 Abs. 1 und 3, § 282, § 241 Abs. 2, § 311 Abs. 2 BGB; früher culpa in contrahendo) bestehen, wenn der Versicherungsnehmer bei Anbahnung des Versicherungsvertrages über einen gefahrerheblichen Umstand täuscht, weil für diesen Fall die Vorschriften des Versicherungsvertragsgesetzes (§§ 19-22 VVG n.F., §§ 16-22 VVG a.F.) über die Verletzung vorvertraglicher Anzeigeobliegenheiten deren Rechtsfolgen grundsätzlich abschließend regeln. Gründe, von dieser unter Geltung des früheren Versicherungsvertragsgesetzes gefestigten Rechtsprechung abzurücken, haben sich durch das Inkrafttreten des neuen Versicherungsvertragsgesetzes nicht ergeben.

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