Mitteilungs- und Anzeigepflichten im Rahmen eines Krankenversicherungsvertrages

Wann muss man als Versicherungsnehmer eine bestehende/ frühere Krankheit offenbaren? Reicht eine Verdachtsdiagnose? Diesen Fragen, sowie dem Umfang der vorvertraglichen Anzeigepflicht nach § 19 VVG, soll sich der folgender Beitrag widmen …

Das OLG Karlsruhe (Beschluss vom 2. März 2015 · Az. 9 U 14/14) hatte in der Sache darüber zu entscheiden, ob eine Verdachtsdiagnose einen anzeigepflichtigen Gefahrumstand begründet und in welchem zeitlichen Zusammenhang eine solche zu offenbaren ist.

Eine Verdachtsdiagnose 3 ½ Jahre vor Antragstellung. Hier Morbus Crohn, ist grundsätzlich ein anzeigepflichtiger Gefahrumstand im Sinne von § 19 Abs. 1 VVG. Das gilt auch dann, wenn die Gesundheitsfragen im Antragsformular sich nur auf "die letzten 3 Jahre" beziehen. Da es sich bei Morbus Crohn um eine chronische Erkrankung handelt, die auch dann nicht als geheilt angesehen werden kann, wenn über einen längeren Zeitraum keine Beschwerden auftreten, handelt es sich grundsätzlich auch bei der Verdachtsdiagnose Morbus Crohn um einen gefahrerheblichen Umstand im Sinne von § 19 Abs. 1 Satz 1 VVG. Eine zutreffende Antwort auf die Frage nach "bestehenden" Krankheiten hätte die Verdachtsdiagnose Morbus Crohn berücksichtigen müssen; denn aus der Verdachtsdiagnose ergab sich die - für eine Entscheidung der Beklagten erhebliche - Möglichkeit, dass der Kläger dauerhaft unter einer schwerwiegenden chronischen Erkrankung litt.

Eine Anzeigepflicht setzt jedoch voraus, dass der Versicherungsnehmer zum Zeitpunkt seiner Vertragserklärung weiß, dass eine derartige Verdachtsdiagnose gestellt und der Verdacht nicht ausgeräumt wurde. Nach dem Wortlaut des Gesetzes reicht fahrlässige oder grob fahrlässige Unkenntnis hinsichtlich des gefahrerheblichen Umstands nicht aus, um eine Anzeigepflichtverletzung zu begründen. Die Beweislast für die Kenntnis des Versicherungsnehmers obliegt dem Versicherer. Die Beklagte hat nicht den Nachweis erbracht, dass der Kläger bei Antragstellung wusste, dass 2004 eine Verdachtsdiagnose Morbus Crohn gestellt wurde.

Allein aus der Mitteilung des behandelnden Arztes ergibt sich noch nicht zwingend eine Kenntnis des Versicherungsnehmers zum Zeitpunkt der späteren Vertragserklärung. Es ist eine Beweiswürdigung auf Grund der Umstände des Einzelfalls erforderlich. Bei einer einmaligen Behandlung in der Vergangenheit und anschließend langer Beschwerdefreiheit kann es plausibel sein, dass der Versicherungsnehmer die Bedeutung der Verdachtsdiagnose Morbus Crohn nicht verstanden oder - unbewusst - verdrängt hat.

Die Beschwerden des Klägers verschwanden nach der Behandlung vollständig. Der Kläger war nach dem Ende der Behandlung beschwerdefrei. Er hat angegeben, der behandelnde Arzt habe ihm nach Abschluss der Behandlung gesagt, der Kläger habe "Glück gehabt". Diese Äußerung habe er im Zusammenhang mit der wiederhergestellten vollständigen Beschwerdefreiheit dahingehend verstanden, dass sich der Verdacht einer chronischen Erkrankung gerade nicht bestätigt habe. Dass der Verdacht einer chronischen Erkrankung trotz der Beschwerdefreiheit weiter gegeben sei, habe man ihm nicht erklärt und habe er so nicht verstanden. Ein Anhaltspunkt für eine weiter bestehende Verdachtsdiagnose habe sich nach Abschluss der Behandlung nicht ergeben.

Es liegt zwar nahe, dass ein Patient in einer derartigen Situation "Beschwerdefreiheit" mit "Gesundheit" assoziiert. Deshalb erscheint es ohne weiteres plausibel und nachvollziehbar, dass der Kläger einen solchen Hinweis nicht verstanden hat, weil seine wieder hergestellte Gesundheit für ihn im Vordergrund stand. Dass Zweifel an der eigenen Gesundheit in einer derartigen Situation eventuell verdrängt werden, ist menschlich und nicht ungewöhnlich.

Es erscheint zudem plausibel, dass die Beschwerdefreiheit für einen Zeitraum von 3 ½ Jahren aus der Perspektive des Klägers ein weiteres Indiz dafür war, dass die ursprüngliche Verdachtsdiagnose einer chronischen Erkrankung durch die "Heilung" von seinen Beschwerden 2004 ausgeräumt war. Dafür spricht zudem der Umstand, dass sich der Kläger in der Zeit nach November 2004 bis zur Notaufnahme im Krankenhaus im Jahr 2009 nicht in ärztliche Behandlung begeben hat. Wenn ihm nach der Behandlung 2004 der Fortbestand einer Verdachtsdiagnose Morbus Crohn bewusst gewesen wäre, dann wäre zu erwarten gewesen, dass er sich - zumindest - in der Folgezeit zu regelmäßigen Kontrolluntersuchungen zu einem Arzt begeben hätte.

Das Landgericht Berlin (Urteil vom 25.01.2013 – 23 O 238/11) entschied, dass eine Krankenversicherung einen Versicherungsvertrag nicht deshalb kündigen kann, weil der Versicherungsnehmer eine anzeigepflichtige Krankheit verschwiegen hat, wenn sie ihn diesbezüglich nicht ordnungsgemäß belehrt und befragt hatte. Hier hatte der Kläger die anzeigepflichtige Krankheit Atherosklerose nicht angegeben. Daraufhin kündigte die beklagte Versicherung den Vertrag.

Der Kläger meint, ein Rücktritts- und Kündigungsrecht stünden der Beklagten mangels ordnungsgemäßer Belehrung nach § 19 Abs. 5 S. 1 VVG nicht zu. Erforderlich dafür sei ein Extrablatt, an dem es fehle. Jedenfalls sei der Kurzhinweis vor den Gesundheitsfragen nicht vollständig und der eigentliche Hinweis auf der Rückseite nicht hinreichend hervorgehoben.

Nach Begründung des Gerichts liegt weder ein wirksamer Rücktritt noch eine (hilfsweise erklärte) wirksame Kündigung vor.

Der beklagten Versicherung stehen weder ein Rücktritts- noch ein Kündigungsrecht nach § 19 Abs. 2, 3 VVG zu. Der Kläger hat die vorvertragliche Anzeigepflicht nicht verletzt. Der Versicherer kann nach § 19 Abs. 2, 3 VVG nur vom Vertrag zurücktreten oder ihn kündigen, wenn der (zukünftige) Versicherungsnehmer seine vorvertragliche Anzeigepflicht nach § 19 Abs. 1 VVG verletzt hat. Eine vorvertragliche Anzeigepflicht des Klägers bestand aber nicht.

Nach § 19 Abs. 1 S. 1 VVG trifft den Versicherungsnehmer eine vorvertragliche Anzeigepflicht u. a. nur, wenn und soweit der Versicherer ihn “in Textform gefragt hat”. Entsprechend der gesetzlichen Definition in § 126b BGB ist der Textform Genüge getan, wenn die Fragen dem Versicherungsnehmer in einer zur dauerhaften Wiedergabe in Schriftzeichen geeigneten Weise gestellt werden. Textform erfordert damit dass der (zukünftige) Versicherungsnehmer die Fragen verkörpert vor Augen hat, sie also ggf. mitlesen kann, unabhängig davon, ob er sie auch tatsächlich mitliest. Dieses Verständnis entspricht nicht nur dem klaren Wortlaut der gesetzlichen Regelung, der von Fragen in Textform spricht, sondern auch deren Sinn und Zweck. Das Erfordernis der Textform soll der Rechtssicherheit dienen. Hat der Versicherungsnehmer die Fragen des Versicherers vor sich, kann er sehen, was dieser wissen will und ob es ggf. mit dem übereinstimmt, was der Versicherungsvertreter ihn fragt. Damit wird gerade bei der in der Praxis typischen Antragssituation, in der der Versicherungsvertreter die Fragen stellt bzw. vorliest, dem zukünftigen Versicherungsnehmer die Möglichkeit gegeben zu überprüfen, ob ihm die Fragen vollständig und richtig gestellt werden und damit für ihn Rechtssicherheit geschaffen. Das bloße Vorlesen der Antragsfragen, ohne die praktische Möglichkeit, dabei selbst die Fragen zu sehen, genügt daher dem Textformerfordernis nicht. Etwa die nachträgliche Überlassung des ausgefüllten Fragebogens genügt demnach grundsätzlich nicht, da die Fragen zu dieser Zeit aus der Sicht des Versicherungsnehmers nicht mehr gestellt, sondern schon beantwortet sind.

Hier blieb bis zum Schluss offen, ob der Kläger die Fragen bei der Antragsaufnahme vor Augen hatte. Nach den Ausführungen des Klägers, er habe lediglich die ihm vom Versicherungsvertreter der Beklagten gestellten Fragen beantwortet, wäre es zur Erfüllung des Textformerfordernisses zumindest notwendig gewesen, dass er im Zeitpunkt der Fragestellung die Möglichkeit hatte, die verkörpert vorhandenen Fragen zu sehen. Dazu fehlt es aber jeglichem Vorbringen.

Damit kam es auf weiteres nicht mehr an; insbesondere auch nicht darauf, dass damit zugleich keine ordnungsgemäße Belehrung im Zeitpunkt der Fragen iSv. § 19 Abs. 5 S. 1 VVG vorlag.

Angebot:


Wir haben uns auf die bundesweite Vertretung von Versicherungskunden spezialisiert. Gern skizzieren wir Ihnen im Rahmen eines kostenfreien orientierenden Gespräches die möglichen Abläufe der Mandatsabwicklung. Gern können Sie uns hierfür auch das Ablehnungsschreiben des Versicherers, Ihre Police, die geltenden ARB sowie eventuell vorhandene Daten der Rechtschutzversicherung übermitteln.

Jens Reime - Anwalt für Bank- & Kapitalmarktrecht

Rechtsanwalt Jens Reime
VCF Card downloaden

Artikel als PDF downloaden

Zurück