Der Begriff der Krankheit in der Rechtsprechung

Im Fall einer auftretenden Krankheit hat der Versicherer dem Versicherungsnehmer umfassende Kostendeckung zu gewähren. Aber wann liegt eine Krankheit im Sinne der Versicherungsbedingungen vor?

Nach dem BGH Urteil vom 17. Februar 2016 · Az. IV ZR 353/14 stellt die Auswechslung von Brustimplantaten wegen Kapselfibrose sowie eine Implantatdislokation einen krankhaften Zustand im Sinne des VVG dar.

Die Erstattung der Kosten für den Implantatwechsel kann nicht nach § 201 VVG versagt werden, da sie nicht vorsätzlich herbeigeführt im Sinne von § 201 VVG wurde.

Allgemeine Versicherungsbedingungen sind so auszulegen, wie ein durchschnittlicher, um Verständnis bemühter Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs versteht.

Unter einer bedingungsgemäßen Krankheit wird ein solcher Versicherungsnehmer entsprechend dem allgemeinen Sprachgebrauch, wie er sich auf der Grundlage allgemein bekannt gewordener medizinischer Erkenntnisse herausgebildet hat, einen objektiv nach ärztlichem Urteil bestehenden anormalen, regelwidrigen Körper- oder Geisteszustand verstehen, wobei sich die Einstufung als "anormal" aus einem Vergleich mit der normalen biologischen Beschaffenheit des Menschen, die Einstufung als "regelwidrig" aus der ergänzenden medizinischen Bewertung eines anormalen Zustandes ergibt. Eine Krankheit ist nach dem gewöhnlichen Sprachgebrauch auch dadurch gekennzeichnet, dass sie eine nicht ganz unerhebliche Störung körperlicher oder geistiger Funktionen mit sich bringt und deshalb die Notwendigkeit einer Heilbehandlung begründet.

Danach führt ein mittels ärztlichen Eingriffs vorgenommener Eingriff nach allgemeinem Sprachgebrauch zu keiner Krankheit im Sinne der Bedingung. Zwar mag die Implantation eines Fremdkörpers einen biologisch anormalen Körperzustand bewirken, medizinisch regelwidrig im Sinne einer Erkrankung ist dieser nach dem Verständnis eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers aber schon deshalb nicht, weil er von einem Arzt unter Beachtung medizinischer Regeln und Sorgfaltsanforderungen herbeigeführt wird und bei normalem, komplikationsfreiem Verlauf auch nicht zur Störung körperlicher oder geistiger Funktionen führt und keinen Behandlungsbedarf begründet.

Selbst wenn man aber unterstellt, dass in 5 – 20 % der Fälle (Kapselfibrosen) stets körperliche Reaktionen auf die Implantate stattfinden, ist deren Behandlungsbedürftigkeit und ein Einfluss auf körperliche Funktionen nicht ersichtlich. Allein der Umstand, dass der Körper auf eingebrachte Silikonimplantate reagiert, schafft somit noch keinen Zustand einer bedingungsgemäßen Krankheit.

Die Beklagte wäre nur dann leistungsfrei, wenn die Klägerin diese Komplikationen billigend in Kauf genommen hätte. Vorsatz ist gekennzeichnet durch das Zusammentreffen eines Wissens- und eines Wollens-Elementes in der Vorstellung der handelnden Person.

Die vorsätzliche Herbeiführung einer Krankheit durch eine versicherte Person erfordert deshalb zunächst ihr Wissen darüber, dass ihre Handlungsweise, zu dieser Krankheit führen kann, wobei die Vorstellung genügt, die Krankheit könne mögliche Folge der Handlung sein. Dieses Wissen kann insbesondere auch aus der ärztlichen Aufklärung über mögliche Folgen einer geplanten Operation herrühren. Wird eine versicherte Person darüber aufgeklärt, dass die operative Einbringung eines Fremdkörpers mit einer gewissen Häufigkeit einen natürlichen Abstoßungsprozess hervorrufen kann, so weiß die versicherte Person fortan um diese mögliche Gefahr.

Damit ist jedoch noch nicht auch das Wollens-Element des Vorsatzes erfüllt. Aus der Kenntnis einer gewissen Häufigkeit von Komplikationen, kann kein Vorsatz abgeleitet werden. Sonst hätte die aus Haftungsgründen regelmäßig extensive medizinische Aufklärung über die mit einer gewissen Häufigkeit möglichen Folgen geplanter ärztlicher Eingriffe nach § 201 VVG den weitgehenden Verlust des Krankenversicherungsschutzes für danach eintretende Komplikationen zur Folge.

Das Wollens-Element des Vorsatzes ist nur dann gegeben, wenn der Handelnde im Wissen um den möglichen Eintritt eines schädlichen "Erfolges" sich mit diesem im Interesse der Handlung in der Weise abfindet, dass er diesen Erfolg billigend in Kauf nimmt. Dabei ist nicht entscheidend, welche Schlüsse ein verständig handelnder Dritter in der Rolle des Handelnden aus dessen Wissen hätte ziehen können oder müssen, denn das könnte - wenn der konkret Handelnde diese Schlüsse nicht gezogen hat - lediglich einen Fahrlässigkeitsvorwurf begründen. Entscheidend ist vielmehr allein die Vorstellung, die der konkret Handelnde mit seinem Verhalten verbindet. Dabei verläuft die Grenze zwischen bewusster Fahrlässigkeit und bedingtem Vorsatz bei der Prognose über den weiteren Geschehensablauf.

Ein Erfahrungssatz, wonach sich die versicherte Person mit allen ihr durch ärztliche Aufklärung bekannt gewordenen möglichen Krankheitsfolgen eines geplanten ärztlichen Eingriffs, die mit einer gewissen Häufigkeit beobachtet werden, im Sinne einer billigenden Inkaufnahme abfindet, besteht nicht. Einer solchen generalisierenden Betrachtung steht bereits die - ebenfalls nur allgemeine - Erwägung entgegen, dass sich Patienten einem ärztlichen Eingriff in aller Regel in der Hoffnung unterziehen, dieser werde erfolgreich und komplikationsfrei verlaufen. Welche Vorstellungen eine versicherte Person mit einem bevorstehenden ärztlichen Eingriff konkret verbindet, muss deshalb stets im Einzelfall geklärt werden.

Demgegenüber liegt keine Krankheit beim Versicherungsnehmer vor, wenn die „Ursache“ nicht in seiner Person liegt:

Nach dem Urteil des LG Aachen · Urteil vom 28. März 2014 · Az. 9 O 169/11 ist Kinderlosigkeit nur eine Krankheit i.S.d. VVG, wenn die Ursache beim Versicherungsnehmer selbst liegt

Gemäß § 1 Abs. 2 MB/KK 94 ist Versicherungsfall die medizinisch notwendige Heilbehandlung einer versicherten Person wegen Krankheit oder Unfallfolgen. Der Versicherungsfall beginnt mit der Heilbehandlung und endet, wenn nach medizinischem Befund Behandlungsbedürftigkeit nicht mehr besteht.

Unter einer Krankheit im Sinne der Versicherungsbedingungen ist dabei ein objektiv nach ärztlichem Urteil bestehender anomaler Körper- oder Geisteszustand zu verstehen. Im Falle einer Kinderwunschbehandlung ist dabei nicht die Kinderlosigkeit an sich eine Krankheit, denn Kinderlosigkeit braucht nicht auf einer organisch bedingten Unfähigkeit zur Fortpflanzung zu beruhen. Jedoch stellt eine organisch bedingte Sterilität - unabhängig von ihren konkreten körperlichen Krankheitsursachen - einen regelwidrigen Körperzustand dar, welcher als Krankheit und damit als Versicherungsfall zu qualifizieren ist, wobei die IVF hierfür eine medizinisch notwendige Heilbehandlung darstellen kann. Die Krankheit als Versicherungsfall ist dabei nach den allgemeinen Grundsätzen vom Versicherungsnehmer zu beweisen.

Vorliegend ist war davon auszugehen, dass eine idiopathische Sterilität vorliegt. Es stand jedoch nicht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass eine organisch bedingte Sterilität bei der Klägerin als Versicherungsnehmerin gegeben ist. Welche Störung letztendlich im Einzelnen oder in Kombination vorliege, könne jedoch nicht mit Sicherheit bestimmt werden. Nach den weiteren Ausführungen ist zudem nicht auszuschließen, dass die Ursache beim Ehemann liege. Dies ergebe sich aus den Ergebnissen der Spermiogramme. Nach Auffassung der Kammer ist im Falle einer derartigen Sterilität ohne erkennbare Ursache beim Versicherungsnehmer (und mit nicht ausschließbarer Ursache beim Ehepartner des Versicherungsnehmers) der Nachweis eines regelwidrigen Körperzustandes und damit einer Krankheit i.S.d. Versicherungsbedingungen nicht erbracht. Die Unaufklärbarkeit der Frage, ob eine Krankheit in der Person der Klägerin gegeben ist, geht nach den Regeln über die Beweislastverteilung zu ihren Lasten. Die bloße Möglichkeit, reicht zur Annahme des Versicherungsfalls nicht aus.

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