OLG Karlsruhe- Urteil vom 09.06.2015 – 12 U 106/13: Fortbestehendes Widerspruchsrecht führt zu Rückzahlungsansprüchen

Der Fall:

Der Kläger begehrt nach einem auf § 5a VVG a. F. gestützten Widerruf eines Lebensversicherungsantrags die Rückzahlung von Beiträgen sowie die Herausgabe gezogener Nutzungen.

Das Antragsformular enthielt unter der Überschrift „Empfangsbekenntnis des Antragstellers“ folgende Passage: „Hiermit bestätige ich, dass mir die maßgebenden Versicherungsbedingungen vor der Unterzeichnung des Antrages ausgehändigt worden sind.“ Der Kläger unterzeichnete dieses Empfangsbekenntnis.

In dem Antragsformular folgt weiter unter der Überschrift „Wichtige Hinweise“: „Sie können innerhalb einer Frist von 14 Tagen nach Erhalt des Versicherungsscheins vom Versicherungsvertrag zurücktreten. Zur Wahrung der Frist genügt die rechtzeitige Absendung der Rücktrittserklärung (§ 4 AVB).“ Dem folgte eine weitere Unterschrift des Klägers.

8 Jahre bezahlte der Kläger Prämien und erklärte sodann die Kündigung. Die Beklagte bezahlte einen von ihr berechneten Rückkaufswert (niedriger als die gezahlten Prämien) an den Kläger aus. Daraufhin widerrief der Kläger seine auf Abschluss des Versicherungsvertrages gerichtete Willenserklärung und forderte die Beklagte zur weiteren Zahlung auf.

Der Kläger hat behauptet, alle relevanten Unterlagen seien ihm erst nach Vertragsschluss zugeleitet worden. Er sei niemals über sein Widerspruchsrecht aufgeklärt. Die Beklagte behauptet, der Widerspruch des Klägers nach § 5 a VVG a.F. sei unwirksam…

Entscheidung:

Der Kläger hat aus dem rechtlichen Gesichtspunkt der ungerechtfertigten Bereicherung (§§ 812 Absatz 1 Satz 1 Alt. 1, 818 Absatz 1 BGB) Anspruch auf Rückzahlung von Beiträgen und aus diesen gezogenen Nutzungen.

Begründung:                                                 

Den Beitragszahlungen des Klägers mangelt es an einem Rechtsgrund; der zwischen den Parteien geschlossene Versicherungsvertrag ist durch den - nicht verfristeten - Widerspruch des Klägers unwirksam geworden.

Der Vertrag der Parteien ist im Policenmodell zustande gekommen. Der Kläger hat vor Vertragsschluss jedenfalls die über die Versicherungsbedingungen hinausgehenden Verbraucherinformationen (§ 10a Absatz 1 Satz 1 VAG in der zu der Zeit geltenden Fassung) vor Vertragsabschluss nicht erhalten. Der Vertrag konnte daher nur im Policenmodell (§ 5a Absatz 2 Satz 1 VVG a. F.) zustande kommen. Über das hiernach bestehende Widerspruchsrecht hat die Beklagte den Kläger nicht ordnungsgemäß belehrt. Das Antragsformular enthält zwar den Hinweis, dass von dem Versicherungsvertrag durch rechtzeitig abgegebene Erklärung „zurückgetreten“ werden könne, wobei zur Fristwahrung die rechtzeitige Absendung der Rücktrittserklärung genüge. Es mangelt aber jedenfalls an dem notwendigen Hinweis darauf, dass der Widerspruch nach § 5a Absatz 1 Satz 1 VVG in der bei Zeichnung geltenden Fassung in Schriftform erfolgen musste.

Das Fehlen einer ordnungsgemäßen Widerspruchsbelehrung hatte zur Folge, dass das Widerspruchsrecht auch nach Ablauf der Jahresfrist des § 5a Absatz 2 Satz 4 VVG a. F. und auch noch im Zeitpunkt der Widerspruchserklärung fortbestand.

Der Kläger hat sein Recht zum Widerspruch auch nicht verwirkt. Aus der jahrelangen Prämienzahlung allein lässt sich ein treuwidriges Verhalten nicht herleiten. Ein schutzwürdiges Vertrauen kann die Beklagte hier schon deshalb nicht in Anspruch nehmen, weil sie die Situation selbst herbeigeführt hat, indem sie dem Kläger keine ordnungsgemäße Widerspruchsbelehrung erteilte. Aus dem gleichen Grund liegt in der Geltendmachung des bereicherungsrechtlichen Anspruchs keine widersprüchliche und damit unzulässige Rechtsausübung.

Die vom Kläger früher ausgesprochene Kündigung des Versicherungsvertrags steht dem späteren Widerspruch nicht entgegen. Da der Kläger über sein Widerspruchsrecht nicht ausreichend belehrt wurde, konnte er sein Wahlrecht zwischen Kündigung und Widerspruch nicht sachgerecht ausüben.

Ein Erlöschen des Widerspruchsrechts nach beiderseits vollständiger Leistungserbringung kommt –schon deshalb nicht in Betracht, weil eine entsprechende Anwendung der Regelungen in den § 7 Absatz 2 VerbrKrG, § 2 Absatz 1 Satz 4 HWiG nach Außerkrafttreten dieser Gesetze nicht mehr möglich ist. Zu dem Zeitpunkt, als der Kläger den Versicherungsvertrag kündigte und die Beklagte ihre Auszahlung leistete, waren sowohl das Verbraucherkredit-, als auch das Haustürwiderrufsgesetz, bereits außer Kraft getreten.

Der Höhe nach umfasst der Rückgewähranspruch des Klägers nicht uneingeschränkt alle Prämien, die er an die Beklagte gezahlt hat. Der Versicherungsnehmer hat während der Prämienzahlung Versicherungsschutz genossen. Mit Blick darauf führte eine Verpflichtung des Versicherers zur Rückgewähr sämtlicher Prämien zu einem Ungleichgewicht. Daher muss er sich diesen als Vermögensvorteil anrechnen lassen.

Die der Beklagten entstandenen Abschluss- und Verwaltungskosten muss sich der Kläger nicht entgegenhalten lassen. Die Beklagte darf sich insoweit nicht auf die vertragsgemäße Verwendung der Prämien berufen, weil dies einer faktischen Durchführung des Vertrages gleichkäme und das Rücktrittsrecht damit ausgehöhlt würde.

Denn wenn das Rücktrittsrecht über derart lange Zeiträume wie vorliegend allein deshalb fortbesteht, weil der Versicherer den Versicherungsnehmer unzureichend über dieses Recht belehrt hat, so muss es bei der Risikoabwägung in seinen Risikobereich fallen, dass die auf den Abschluss und die Verwaltung des Vertrags aufgewendeten Kosten vergeblich waren.

Die von der Beklagten aus den Beiträgen gezogenen und nach § 818 Absatz 1 ZPO herauszugebenen Nutzungen schätzt der Senat (§ 287 Absatz 2 ZPO)…Es werden nur diejenigen Nutzungen erfasst, die tatsächlich gezogen werden. Der Kläger kann die Herausgabe von Nutzungen, da die Beklagte die vereinbarten Beiträge in einen Fonds investiert hat, nur geltend machen, wenn er sie darlegen kann. Der Kläger, der für die Höhe der von der Beklagten gezogenen Nutzungen darlegungs- und beweispflichtig ist, kann die Wertentwicklung dieses Fonds aus allgemein zugänglichen Quellen und den ihm zur Verfügung gestellten Abrechnungsschreiben der Beklagten ohne weiteres nachvollziehen

Die Beklagte konnte auch keine Nutzungen aus denjenigen Beträgen ziehen, die sie für die Verwaltung des durch den Widerspruch vernichteten Lebensversicherungsvertrages aufwenden musste. Diese Kosten wurden durch die ratenweise Beitragszahlung abgegolten.

Fazit:

Alle Versicherungsnehmer, die nicht ausreichend oder fehlerhaft über ihre Rechte (insbesondere Widerspruch und Rücktritt) belehrt wurden, haben guten Chancen ihre gezahlten Beiträge nahezu komplett zurückzuerhalten….

Wie sollten sich Versicherungsnehmer verhalten?

Der Versicherungsnehmer sollte seine konkrete Belehrung von einem Anwalt überprüfen lassen und den Vertrag dann ggfls. von diesem widerrufen lassen,

bevor er die Police im Original zu seinem Versicherer schickt.

Nach unserer Erfahrung ist es zwecklos, dies ohne anwaltliche Hilfe zu versuchen, da Versicherungskunden dann zumeist nicht ernst genommen werden.

Was ist zu tun?

Sofern Versicherungskunden bereits rechtsschutzversichert sind, benötigen wir für eine kostenfreie Abschätzung der rechtlichen und wirtschaftlichen Erfolgsaussichten den

Versicherungsantrag und die

Police samt Begleitschreiben sowie Mitteilung über gezahlte

Prämien und

Versicherungsleistungen.

Sofern noch keine Rechtsschutzversicherung besteht, kann hierfür eine Rechtsschutzversicherung abgeschlossen werden (BGH IV ZR 23/12), bevor Widerspruch oder Rücktritt ausgelöst werden.